Wiler Zeitung: Erwin Böhi (SVP) spricht über seinen Rücktritt

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Sabrina Manser

«Nach der Pflicht kommt nun die Kür»: Das sagt Erwin Böhi zu seinem Rücktritt aus dem Kantonsrat und dem Wiler Stadtparlament

Der SVPler war acht Jahre lang im Stadtparlament und tritt nun per Ende Jahr zurück. Sein Engagement als Kantonsrat wird er nach 19 Jahren ebenfalls beenden. Erwin Böhi spricht über Pflicht und Kür in der Politik, die Krisen der SVP Wil und ein kulturelles Eigengoal.

Nach sieben Jahren treten Sie per Ende Jahr aus dem Stadtparlament zurück. Was sind Ihre Beweggründe?

Erwin Böhi: Ich wurde 2015 im Stadtparlament nachnominiert. Die SVP hatte damals interne Probleme und ich wurde angefragt, ob ich ins Stadtparlament kommen möchte. Mittlerweile hat sich die Fraktion stabilisiert. Darum will ich jetzt meinen Sitz jemand anderem überlassen.

Um die Nullerjahre waren Sie an der Parteispitze der SVP Wil, weil es eine Krise gab. Sie haben die Ortspartei neu gegründet. Es scheint, als seien Sie ein gefragter Mensch für Kriseninterventionen.

Als Delegierter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes war ich es gewohnt, in Krisensituationen zu arbeiten. Die Ortspartei in Wil war damals neu und viele verschiedene Leute haben sich engagiert. Das führte zu Konflikten. Es ist völlig normal, dass es in einer neuen Partei rauf und runter geht. Als Politologe fand ich es sehr spannend, diese Prozesse zu beobachten und auch mitzuhelfen.

Wie haben Sie es geschafft, die Wogen zu glätten?

Man muss der Typ dafür sein, die Leute zusammenzubringen. Ich habe mit den Leuten Klartext geredet und auch gesagt, wenn jemand im Interesse der Sache zurücktreten sollte. Ich habe das nicht gerne gemacht. Aber man muss möglichst schnell Lösungen finden, sonst verschlimmert sich die Situation, gerade im Zwischenmenschlichen.

Wären Sie ohne diese Konflikte lokalpolitisch gar nie aktiv geworden?

Nein. Ich war zuerst im Kantonsrat. Es ist eher ungewöhnlich, sich nach einer Wahl in den Kantonsrat noch in einem Stadtparlament zu engagieren. Ich wollte mich eigentlich auf die kantonale Politik konzentrieren. Aber es war nötig, ins Stadtparlament zu gehen, damit sich die interne Situation normalisiert.

In der Ortspartei ist es nun ruhiger geworden. Aber gibt es genug Leute, die sich für ein Amt engagieren wollen?

Es ist definitiv eine Herausforderung, genug wählbare Leute für die Liste zu finden. Das hängt auch vom Ruf der Partei ab: Wenn man eine gute politische Arbeit leistet, ist es leichter. Aktuell haben wir ein solidarisches, loyales Team, das sehr gut geführt wird.

Im Laufe des nächsten Jahres treten Sie auch aus dem Kantonsrat zurück. Was sind hier die Gründe?

Ich bin nun seit 18 Jahren im Kantonsrat. Eine Partei lebt von Erneuerungen und ist dann stark, wenn sie vielfältig und durchmischt ist, was die Erfahrung, das Alter, das Geschlecht oder die Ausbildung anbelangt.

Worauf werden Sie sich nun konzentrieren?

Seit zehn Jahren bin ich Politikberater und ich habe Mandate von Politikern und Organisationen. Diese Arbeit werde ich nun intensivieren. Ich werde mich also weiterhin mit Politik beschäftigen, aber im Hintergrund.

Fällt es Ihnen schwer zurückzutreten?

Nicht wirklich, ich verspüre eher eine gewisse Erleichterung. In der Politik ist es wie beim Eiskunstlauf: Es gibt einen Pflicht- und einen Kürteil. Für mich war der offizielle Teil mit Parlamentssitzungen, Kantonsratssitzungen und politischen Auftritten Pflicht. Die Kür ist für mich die Hintergrundarbeit. Das habe ich immer am meisten geliebt, weil ich gerne recherchiere und Lösungen auch für komplexe Zusammenhänge finde.

Wollten Sie nie in die Exekutive?

Als ich nach 20 Jahren vom Ausland zurück in die Schweiz kam, wollte ich mich politisch aktiv engagieren. 2001 habe ich für das Gemeindepräsidium in Wildhaus kandidiert. Aber eigentlich wäre die Exekutive nichts für mich. Ich hätte grösste Mühe, Positionen zu vertreten, die nicht meine eigenen sind.

Sind Sie zufrieden mit Ihrem politischen Werdegang?

Ich bin zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Als ich vom Ausland zurückkam, war ich knapp 50 Jahre alt. Lange Auslandaufenthalte sind für die politische Karriere nicht förderlich, ich hatte kein Netzwerk in der Schweiz. Ich habe begonnen, Leserbriefe und Zeitungsartikel zu schreiben, und so wurde man auf mich aufmerksam.

Was war einer der grössten Erfolge in Ihrer politischen Karriere?

Ich habe mich immer stark für die Spitalpolitik engagiert. Bei der Schliessung der Spitäler wurden Gesundheits- und Notfallzentren versprochen, die aber nicht überall umgesetzt wurden. Mein Vorstoss, den Volksentscheid umzusetzen, wurde vom Kantonsrat leider abgelehnt. Dann habe ich einen anderen Weg gefunden. Das geltende Spitalgesetz schränkt die unternehmerische Freiheit der Spitäler stark ein. Ich habe an der Septembersession eine Motion mit einer entsprechenden Gesetzesänderung eingereicht, die es dem Spitalverbund erlauben wird, Notfallzentren auch ausserhalb der Spitäler zu eröffnen. Die Chancen dafür stehen gut, weil die Regierung die Gutheissung der Motion beantragt. Im Februar entscheidet der Kantonsrat.

Was war ein Misserfolg?

Misserfolge gibt es in der Politik ständig. Eine Enttäuschung war, dass das Volk bei der Spitaldebatte nicht über die neuen Standorte beziehungsweise die Spitalschliessungen abstimmen konnte – der Kantonsrat hat meinen entsprechenden Antrag abgelehnt. Ich bin überzeugt, es hätte vom Volk ein Ja gegeben. Dann hätten wir eine formelle Legitimation gehabt, auch für die Schliessungen.

Sie haben sich auch mit Kulturthemen beschäftigt, wie etwa mit den St.Galler Festspielen. Mit zwei Vorstössen haben Sie gefordert, dass die Festspiele nicht mehr auf dem Klosterplatz in St.Gallen stattfinden sollen, sondern woanders. Mit der IG Kultur Wil setzten Sie sich zudem dafür ein, dass Wil alternierender Austragungsort wird. Nun sind die Festspiele mit dem zweiten Schauplatz in den Flumserbergen noch weiter weg von Wil. Waren die Vorstösse ein Eigengoal?

Es mag eine Rolle gespielt haben, dass ich diese Vorstösse eingereicht habe. Aber die zahlreichen Rückmeldungen aus der Bevölkerung haben gezeigt, dass die Leute froh waren, dass endlich mal jemand die Festspiele auf dem Klosterplatz kritisch thematisiert. Viele haben die Kulisse während des Sommers als störend empfunden. Und vielleicht ist das letzte Wort zu den Festspielen in Wil noch nicht gesprochen.

Gerade mit Kulturthemen bewegen Sie sich nicht unbedingt auf der klassischen SVP-Linie. Wie sehen Sie sich in Ihrer Rolle als SVPler?

Ich finde, als Politiker sollte man sich nicht nur mit den klassischen Themen seiner eigenen Partei befassen. Ich interessiere mich für vieles und bin darum auch in den Wiler Interessensgemeinschaften für den öffentlichen Verkehr und die Kultur. Ich bringe mich ein, sage aber auch mal Nein.

Was geben Sie dem Stadtparlament mit auf den Weg?

Das Parlament bräuchte mehr institutionelle Unterstützung. Die Geschäfte werden immer komplexer, die Milizarbeit schwieriger. Die Stadtschreiberin hat zwei Hüte auf und ist für den Stadtrat sowie das Parlament zuständig. Diese Aufgaben müsste man trennen und einen separaten Parlamentsdienst schaffen.

Sie werden nächstes Jahr 70 Jahre alt. Werden Sie mit Ihrem Rücktritt mehr Freizeit haben?

Die Unterscheidung zwischen Freizeit und Arbeit war für mich schon immer theoretisch. In meinem täglichen Leben wird sich nicht viel ändern. Ich fühle mich fit und muss nicht gesundheitlich kürzertreten.

Berater
Foto Erwin Böhi

Erwin Böhi