https://www.wiler-nachrichten.ch/wil-region/detail/article/personen-werden-diskriminiert-00205041/
Vor Kurzem konnten Personen ohne Covid-Zertifikat keine Bücher mehr persönlich bei der Stadtbibliothek Wil beziehen. Daran störte sich die Stadtparlamentarierin Christina Rüdiger und reichte eine Interpellation ein. Nun scheint sich das Problem gelöst zu haben.
Wil Christina Rüdiger traute ihren Ohren nicht, als bei ihr kürzlich das Telefon klingelte. «Eine Mutter aus Wil teilte mir mit, dass sie ohne Zertifikat für ihr Kind keine Bücher mehr in der Bibliothek beziehen könne», erinnert sich die SVP-Stadtparlamentarierin. Sofort erkundigte sie sich bei der Bibliothek. Diese bestätigte damals, dass Personen ohne Zertifikat die Bibliothek nicht mehr persönlich betreten und reservierte Bücher nur noch durch eine Person mit Zertifikat abgeholt werden könnten. Der Grund: fehlende personelle Ressourcen.
«Unhaltbarer Zustand»
«Ich möchte der Bibliothek keinen Vorwurf machen», betont Christina Rüdiger. Sie könne sich durchaus vorstellen, dass es an Personal gefehlt habe. Trotzdem hielt sie den Zustand für «unhaltbar». «Der Zugang zu Bildung ist ein Grundrecht. Leute ohne Zertifikat mussten aber ? etwas überspitzt formuliert ? wie Hunde draussen warten.»
Rückenwind vom Stadtrat?
Rüdiger kann nicht nachvollziehen, weshalb der Bundesrat beschlossen hat, die Zertifikatspflicht auch auf Bildungseinrichtungen auszuweiten. Es sei nicht bestätigt, dass dort ein hohes Infektionsrisiko bestehe, so die Stadtparlamentarierin. Rüdiger erhoffte sich Unterstützung von der Stadt Wil. Deshalb reichte sie eine Interpellation ein, in der sie den Stadtrat unter anderem fragte, ob er nicht der Meinung sei, dass es in Wil möglich sein sollte, Leuten ohne Zertifikat einen Abholservice zu ermöglichen ? so, wie es beispielsweise in St.Gallen und in anderen grösseren Städten der Fall sei. «Ich wollte, dass die Stadt eruiert, wie viele Personen den Abholservice in Anspruch nehmen, und sich dann mit der Bibliothek abspricht, um eine Lösung zu finden», so Rüdiger. Ausserdem erhoffte sie sich, so auch im Stadtparlament Diskussionen zu lancieren.
«Anfang der Spaltung»
Nun scheint sich das Problem jedoch gelöst zu haben. Wie Susanne Wahrenberger, Fachperson Kommunikation der Stadt Wil, mitteilt, hätten seit Kurzem wieder alle Personen Zugang zu Büchern und anderen Medien. «Nach der Einführung der Zertifikatspflicht mussten die Bibliotheksprozesse angepasst werden. Mittlerweile wurde eine Lösung gefunden, damit die bestellten Medien auch ohne Zertifikat wieder direkt vor dem Eingang abgeholt werden können. Derzeit wird kein weiteres Personal angestellt.» Christina Rüdiger freut sich, dass ein Weg gefunden wurde, der wieder allen Personen Zugang zum Angebot der Bibliothek verschafft. «Dennoch», meint Rüdiger, die auch Mitglied bei den «Verfassungsfreunden» ist, «Personen ohne Zertifikat müssen weiterhin draussen bleiben und werden diskriminiert. Das spaltet die Bevölkerung und ist ein Verstoss gegen unsere Verfassung. Ich bin mir sicher, dass nach Corona damit nicht Schluss ist, sondern es sich in anderen Bereichen fortsetzt. Dagegen wehre ich mich weiterhin.»
Von Darina Schweizer
