Wiler Zeitung: Grossflächig Tempo 30 löst in Wil gemischte Reaktionen aus

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von Larissa Flammer

Soll Wil wie St.Gallen Tempo 30 grossflächig einführen? Die Reaktionen variieren von «möglichst schnell» bis «absolut kein gangbarer Weg»

Ab 2024 soll in St.Gallen in der Nacht Tempo 30 gelten, und zwar nicht nur auf Quartierstrassen, sondern auf allen Strassen in der Stadt. Diese Lärmschutzmassnahme löst in Wil unterschiedliche Reaktionen aus.

«Dass der Verkehr nachts dank einer Temporeduktion leiser wird; da bin ich voll dafür. Aber Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen tagsüber einzuführen, ist ein Seich», sagt Andreas Herzog. Das Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft öffentlicher Verkehr (IGöV) Wil hat eine klare Meinung zu den Plänen, welche die Stadt St.Gallen und der Kanton am Mittwoch kommunizierten.

In der Kantonshauptstadt wird mit dem Konzept Stadttempo die Höchstgeschwindigkeit herabgesetzt, um den Strassenlärm zu reduzieren. In einem ersten Schritt soll künftig in der Nacht auf nahezu allen Strassen im Stadtgebiet Tempo 30 gelten – konkret von 22 bis 6 Uhr. Etappenweise soll danach bis 2028 auch tagsüber die signalisierte Höchstgeschwindigkeit auf mehreren Hauptverkehrsachsen von 50 auf 30 gesenkt werden.

Die ÖV-Betreiber waren in die Konzeptplanung miteingebunden, äusserten jedoch Vorbehalte. In die gleiche Kerbe schlägt auch Herzog von der IGöV Wil:

«Durch den verlangsamten Verkehr müssten die Busfahrpläne überarbeitet werden. Zum Teil könnten die Halbstundentakte nicht mehr eingehalten werden.» 

Es hätte Mehrkosten zur Folge, wenn mehr Busse eingesetzt werden müssten. «Tempo 30 tagsüber wäre extrem kontraproduktiv», sagt Herzog. Und es löse auch keine Probleme. Verkehr produziere nun mal Lärm, und wenn die Autos länger in der Stadt unterwegs seien, würden dort dafür mehr Abgase entstehen.

Gegen eine Temporeduktion in der Nacht auf dem gesamten Stadtgebiet hätte Herzog aber nichts einzuwenden: «Nachts herrscht sowieso wenig Verkehr und es sind nur noch wenige Busse unterwegs. Das würde gut funktionieren.» 

Grüne Prowil: Stadtrat soll auf Kanton zugehen

Tempo-30-Zonen sind bei der Stadt Wil schon länger ein Thema. Vergangenen Juli beantwortete der Stadtrat eine Interpellation von Matthias Loepfe (Grüne Prowil) positiv.

Im Projekt «Tempo 30 als Lärmschutzmassnahme» wird aktuell die Machbarkeit von Temporeduktionen für diverse Strassenabschnitte von Gemeindestrassen in der Innenstadt geprüft. Resultate sollen im ersten Halbjahr 2023 vorliegen. Wie es in der Antwort hiess, unterstütze der Stadtrat zudem die Stossrichtung des Kantons, dass in geeigneten Fällen auch Temporeduktionen auf Kantonsstrassen eingeführt werden können. 

Da es in St.Gallen nun diesbezüglich vorwärtsgehe, würde es Loepfe begrüssen, wenn der Wiler Stadtrat auf den Kanton zugehen würde. «Jetzt kann er sich nicht mehr hinter dem Kanton verstecken, er muss aus dem Beobachtungsmodus rauskommen.» Die Massnahme Tempo 30 in der Nacht könne schnell umgesetzt werden und habe einen unmittelbaren Effekt. Der Stadtparlamentarier sagt:

«Die Nachtstunden sind sehr lärmsensibel und in Wil leben mehrere 1000 Personen an Hauptverkehrsachsen.»

Loepfe weist auch auf die weiteren Effekte von Tempo 30 hin: «Die bauliche Entwicklung, die heute wegen der Überschreitung der Lärmgrenzwerte an den Hauptachsen oft blockiert ist, würde wieder ermöglicht werden und die Lebensqualität in der Stadt würde steigen.» Seine Partei, die Grüne Prowil, werde sicher genau hinschauen, was der Stadtrat nun unternehme und gegebenenfalls selbst politisch aktiv werden. «Die Zeichen für Tempo 30 stehen aktuell so gut – es ist eine reine Willensfrage», sagt Loepfe.

SVP: Argument Lärmschutz werde nur vorgeschoben

Überhaupt nicht begeistert vom St.Galler Konzept ist Andreas Hüssy. Der Präsident der SVP Wil findet klare Worte:

«Das ist absolut kein gangbarer Weg.»

In Quartieren sei Tempo 30 kein Problem, aber auf Hauptverkehrsachsen habe es nichts zu suchen. Der Parteipräsident zweifelt auch das Argument mit dem Lärmschutz an. «Ich habe das Gefühl, es wird vorgeschoben, um weiter auf den motorisierten Individualverkehr einzuprügeln, der ja immerhin den öffentlichen Verkehr zu einem grossen Teil mitfinanziert.»

Zudem: Ob das Fahren im 4. Gang mit einer niedrigen Drehzahl bei Tempo 50 wirklich lauter sei als das Fahren im 3. Gang mit einer höheren Drehzahl bei Tempo 30, sei seiner Meinung nach fragwürdig. Hüssy weist auch auf die Bestrebungen hin, ab 2035 vollständig auf Elektroautos zu setzen. «Ein Grossteil des Lärms ist dann ja weg.» 

Die Mitte: Tempo 30 in der Nacht ist ein guter Ansatz

Franklin Munishi, Präsident der Ortspartei Die Mitte Wil, sagt:

«Wir von der Mitte sind sicher nicht gegen Tempo 30 – allerdings nicht flächendeckend.»

Er würde es begrüssen, wenn punktuell Temporeduktionen eingeführt werden, zum Beispiel beim Bahnhof, bei Schulhäusern oder an stark lärmbelasteten Strassen. «Damit könnte man Erfahrungen sammeln und dann weiter schauen.» 

Die Idee mit einem zeitlich auf die Nachtstunden beschränkten Tempo-30-Regime nennt Munishi einen guten Ansatz. «Für diese Massnahme ist die Akzeptanz in der Bevölkerung sicher grösser.» 

Kanton hat in Wil schon mehrere Massnahmen ergriffen

Seitens Kanton gibt es momentan keine Pläne, in der Stadt Wil ein ähnliches Konzept wie in der Stadt St.Gallen einzuführen, heisst es beim kantonalen Bau- und Umweltdepartement auf Anfrage. Dem Kanton sei der Schutz vor Lärm aber auch in Wil sehr wichtig: Auf mehreren Strassenabschnitten in der Stadt Wil seien bereits lärmarme Beläge eingebaut worden. An der Georg-Renner-Strasse habe der Kanton vor ein paar Jahren eine Lärmschutzwand gebaut. Und in Zukunft seien auf vielen Kantonsstrassenabschnitten Flüsterbeläge vorgesehen.

Der Kanton verweist zudem auf die Netzergänzung Nord, mit der eine Entlastung des Stadtzentrums vom Verkehr und vom Lärm angestrebt werde.

Präsident SVP Stadt Wil Mitglied Stadtparlament Mitglied Geschäftsprüfungskommission
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Andreas Hüssy